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Das Jugendamt hat mir das Leben gerettet!

Elenas Geschichte ist eine von Mut und Hoffnung. Ein Familienhelfer des Jugendamtes half ihr, der Gewalt zu entkommen und ihre Kinder vor weiterem Leid zu bewahren.

Echte Einblicke ins Jugendamt

Eine Aufzeichnung von Renate Eder-Chaaban

Das Jugendamt löst bei vielen Menschen Ängste aus. Doch erhalten sie dort vor allem viel Unterstützung. Eltern und Kinder berichten, wie ihnen die Behörde geholfen hat.

Das Jugendamt hat mir das Leben gerettet!

Elena* strahlt ihren Familienhelfer Christian B. an. „Wenn ich Sie nicht gehabt hätte, weiß ich nicht, wo ich und meine Kinder heute wären!“

Elena (33) stammt aus Osteuropa und ist seit vier Jahren in Deutschland. Damals kam sie, im dritten Monat schwanger, zusammen mit ihrer kleinen Tochter über Budapest nach Deutschland. Sie stellt einen Antrag auf Asyl und wird in einer Kleinstadt in Baden-Württemberg untergebracht. Ein halbes Jahr später kommt ihr Lebensgefährte nach. „Die ersten zwei Monate – himmlisch.“ Das gemeinsame Kind ist da, sie haben eine kleine Wohnung und Elena freut sich, dass ihr Partner endlich wieder bei ihr ist. Kurz entschlossen heiraten die beiden – sie wollen in Deutschland glücklich werden.

Aber das Glück sollte nicht lange währen. Andrei* tut sich schwer, in Deutschland anzukommen. Elena umschreibt die Situation so: „Irgendwas war immer falsch. Entweder zu viele Anträge oder zu wenig Geld. Nie war er zufrieden.“ Schnell kippt die Stimmung. Immer öfter greift er zu Alkohol und wird aggressiv. Er ist viel unterwegs und wenn er zu Hause ist, bringt er Freunde mit. „Das Haus war immer voll und ich musste für alle kochen. Das war mir oft zu viel, ich brauchte einfach Ruhe, so kurz nach der Geburt und mit zwei kleinen Kindern.“ Während Elena versucht, Andrei bei Laune zu halten, kommandiert er sie rum. Und wenn sie nicht spurt, schreit er sie an, sie sei eine Null, ein Nichts. Nach den verbalen Entgleisungen kommen irgendwann auch die körperlichen Angriffe. Er zieht sie an den Haaren, würgt sie und geht schließlich mit dem Messer auf sie los. Elena fühlt sich elend. „Ich war ganz alleine und hatte niemanden zum Reden.“ Nur mit einer Freundin in ihrer Heimat kann sie ab und zu telefonieren. „Das war eine furchtbare Zeit.“

Immer wieder gibt es Streit, immer wieder wird es laut und hässlich. Die Kinder sind maximal verunsichert und verschreckt. Dann eskaliert die Situation. Andrei würgt seine Frau bis zur Bewusstlosigkeit und droht sie umzubringen. Elena ruft die Polizei und mit ihr kommt die Jugendhilfe. Das Jugendamt kennt Elena nicht. „In meiner Heimat gibt es so was nicht.“ Und hier in Deutschland hatte sie nichts Gutes darüber gehört.

„Bei einer Kindeswohlgefährdung erstellt das Jugendamt sofort ein Schutzkonzept. Das ist eine Vorgabe des Amtes und bedarf einer schriftliche Zustimmung der Eltern“, berichtet Annegret K.*, die zuständige Jugendamtsmitarbeiterin. „Wir stellen den Schutz der Kinder sicher, finden heraus, ob die Kinder in Gefahr sind und ob für sie ordentlich gesorgt wird. Wir schauen auch, wie sich die Streitigkeiten auf die Kinder auswirken. Der gewalttätige Vater wird unter die Lupe genommen. Wie viel trinkt er? Greift er auch die Kinder an?“

Nach der Gefährdungsmeldung bekommen Elena und Andrei eine Familienhilfe zur Seite gestellt. Annegret K. berichtet: „Das hat sich im Nachhinein als Glückgriff herausgestellt. In akuten Fällen haben wir bei den Freien Trägern eigentlich keine große Auswahl.“ Freie Träger sind Dienstleister, die im Auftrag des Jugendamtes konkrete Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe wahrnehmen.

Als Annegret K. beim Freien Träger anfragt, ist gerade ein Mitarbeiter als Familienhelfer frei. Und Elena ist froh. Endlich hat sie das Gefühl, dass ihr jemand zuhört, sie nicht mehr allein ist. Für Elena ist der ruhige, besonnene Sozialarbeiter die Rettung. Er weiß immer Rat, unterstützt sie mit den Kindern und hilft die ganze Situation zu entzerren. Anders Andrei, ein Mann als Unterstützung für seine Frau? Das ist in seinen Augen keine gute Idee. Er reagiert eifersüchtig und wütend. Schon bald stellt sich heraus, dass Andrei nicht kooperieren will. Er verweigert sich, wiederholt immer nur, was die Frau wieder alles falsch gemacht habe und wie schlecht sie sei. Er hört nicht zu, lässt sich nicht ein, und verändern will er schon gar nichts. Elena dagegen ist kooperativ, sie arbeitet von Anfang an mit. Dem Sozialarbeiter gelingt es, Vertrauen zu Elena aufzubauen und sie zu stabilisieren.

Befreien aus dieser unheilvollen Beziehung zu ihrem Mann kann Elena sich allerdings nicht. Die Situation eskaliert immer weiter – Streitigkeiten, Drohungen, Schläge und eine Flucht ins Frauenhaus. Als Andrei ein halbes Jahr nach dem Eingreifen des Jugendamts Elena erneut mit dem Tod bedroht, arbeiten der Jugendamtsmitarbeiter, der zuständige Richter und Mitarbeiter der Ausländerbehörde schnell und eng zusammen und bauen eine Schutzzone um die kleine Familie. Jetzt schafft es Elena, sich endgültig zu trennen. Ein paar Wochen später wird Andrei, dessen Aufenthaltstitel an Frau und Familie gebunden war, in das Heimatland abgeschoben.

Heute wirkt Elena gelöst. Sie ist endlich in Deutschland angekommen. „Nein, Angst, dass er zurückkommt, habe ich keine. Ich gehe jetzt meine eigenen Wege. Ich brauche ihn nicht.“ Inzwischen ist sie geschieden, besucht Deutschkurse und irgendwann will sie auch arbeiten. Die Kinder haben sich gut entwickelt. Die Kleine geht in den Kindergarten und die größere Tochter wird nächstes Jahr eingeschult. Den Vater vermissen sie nicht.

Elenas Geschichte hat sich mithilfe des Jugendamts zum Guten gewandt. Ein Schutzkonzept ist nicht mehr notwendig. Aber für die Kinder erhält sie Sozialpädagogische Familienhilfe, eine Unterstützung, die sie sehr begrüßt. Und wenn sie jemand auf das „böse“ Jugendamt anspricht, widerspricht sie und ist voll des Lobes: „Das Jugendamt hat mir das Leben gerettet. Jetzt habe ich wieder Hoffnung.“

* Die Namen aller beteiligten Personen sind geändert.

Geschrieben wurden diese Aufzeichnungen nach intensiven Gesprächen mit Betroffenen und Mitarbeitenden von Jugendämtern. Alle Beteiligten haben den Text autorisiert.

Unterschiedliche Meinungen über Hilfeleistungen und Unterstützungsangebote gehören zum beruflichen Alltag der Jugendämter. Es kommt immer wieder mal vor, dass Sie mit Entscheidungen nicht zufrieden sind, Probleme auftauchen, schwierige Erfahrungen machen oder Sie sich einfach über Ihre Rechte informieren möchten. Hierfür bieten Ihnen Ombudsstellen Hilfe an.