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Verfahrenslotse

Was ist ein Verfahrenslotse (VL)?

Der Alltag junger Menschen mit (drohender) Behinderung und ihrer Familien kann oft herausfordernd sein. Um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und den Alltag meistern zu können, können junge Menschen mit einer (drohenden) Behinderung und ihre Familien, auch frühzeitig, Hilfe bekommen. Neben allgemeinen Hilfen (aus dem Sozialrecht) kommen auch Hilfen speziell zur Unterstützung der Teilhabe junger Menschen mit (drohender) Behinderung am Leben in der Gesellschaft (Leistungen zur Teilhabe) in Frage. Ein Teil dieser Hilfen sind die Eingliederungshilfen.

Für Eingliederungshilfen können verschiedene Behörden zuständig sein, was es für Betroffene oft schwierig macht, den Überblick zu behalten.

Ein Verfahrenslotse oder eine Verfahrenslotsin ist eine Ansprechperson, die junge Menschen mit (drohender) Behinderung sowie deren Familien und Angehörige berät und dabei unterstützt, passende Eingliederungshilfen zu erhalten. Dabei "lotst" sie durch die Verfahren der Eingliederungshilfe. Sie oder er arbeitet dabei als Interessenvertretung für den betroffenen jungen Menschen.

Was macht er, wie funktioniert das grundsätzlich? Was kann er bewirken?

Der Verfahrenslotse oder die Verfahrenslotsin (VL) arbeitet vertraulich, unabhängig und kostenfrei und wird nur auf den Wunsch der anspruchsberechtigten Personen tätig.

Der/ Die VL kann auch bereits frühzeitig in Anspruch genommen werden.

Der oder die VL arbeitet vertraulich: Das heißt, dass ein VL nichts weitersagt, was nicht jeder wissen soll.

Der oder die VL arbeitet unabhängig: Das heißt, dass ein VL für die jungen Menschen und ihre Interessen arbeitet und nicht für die Ämter.

Der oder die VL arbeitet kostenfrei: Das heißt, dass man für die Hilfe des VL nichts bezahlen muss.

Anspruchsberechtigte Personen sind:

  • junge Menschen, die noch nicht 27 Jahre alt sind,
  • Eltern und Personensorgeberechtigte (bspw. ein Vormund),
  • andere Personen, die für die Erziehung des Kindes bzw. das Kind verantwortlich sind und
  • gesetzliche Vertretungen (z. B. Betreuerinnen und Betreuer).

Die besprochenen Inhalte bleiben vertraulich und werden nicht ohne Erlaubnis an andere Personen oder Behörden weitergegeben.

Der Verfahrenslotse bzw. die Verfahrenslotsin kann zu jedem Zeitpunkt in Anspruch genommen werden. Auch wenn bereits ein Antrag gestellt wurde oder bereits eine Eingliederungshilfe bewilligt wurde.

Das sind die Aufgaben der Verfahrenslotsen und Verfahrenslotsinnen:

  • Vertrauens- und Kontaktperson, vertritt die Interessen der jungen Menschen mit (drohender) Behinderung und ihrer gesetzlichen Vertretungen
  • Beratung zu den Angeboten der Eingliederungshilfe nach SGB VIII und SGB IX
  • Erklärung von Verfahrensabläufen, Bescheiden und Fachbegriffen
  • Unterstützung dabei Anträge zu stellen
  • Beratung zu den Möglichkeiten bei der Ablehnung einer Eingliederungshilfe (Widerspruchsverfahren)
  • Begleitung als Vertrauensperson zu schwierigen Gesprächen
  • Information und Weitervermittlung zu anderen Unterstützungsangeboten und Ansprechpersonen

Wo ist er angesiedelt, wie ist er erreichbar?

Der Verfahrenslotse bzw. die Verfahrenslotsin arbeitet im Jugendamt und ist per E-Mail, telefonisch oder über das Internet erreichbar.

Die Beratung und Unterstützung erfolgt in Absprache mit Ihnen – flexibel und bedarfsgerecht. Sie können selbst wählen, welcher Ort und welches Format für Sie am besten passt:

  • am Telefon
  • online per Videochat
  • per E-Mail
  • bei Ihnen zu Hause
  • in Einrichtungen
  • im Jugendamt
  • … oder einem Ort Ihrer Wahl

Gerne können Sie zu dem Gespräch eine Vertrauensperson mitbringen. Das ist jemand, der Ihnen Nahe steht und dem Sie vertrauen – zum Beispiel ein Familienmitglied oder eine gute Freundin oder einen guten Freund.

Wir beraten Sie in einer für Sie nachvollziehbaren, wahrnehmbaren und verständlichen Form. Das bedeutet: Sie sollen verstehen können, worum es geht. Wenn Sie für das Gespräch Unterstützung benötigen – zum Beispiel durch eine Übersetzung in Gebärdensprache oder eine andere Sprache – sagen Sie uns bitte rechtzeitig Bescheid. Wir kümmern uns darum.

Was macht er nicht?

Der Verfahrenslotse bzw. die Verfahrenslotsin kann eine erste fachliche und rechtliche Einschätzung zu möglichen Eingliederungshilfen abgeben. Die Verantwortung für die Beantragung der Hilfe liegt beim betroffenen jungen Menschen, den Eltern oder der gesetzlichen Vertretung.

Für die abschließende Prüfung und Bewilligung ist die jeweils zuständige Behörde verantwortlich. Verfahrenslotsen können für Sie keine rechtliche Vertretung bei Widerspruchs- oder Klageverfahren wahrnehmen.

Praxisbeispiele

  1. Ein Vater meldet sich telefonisch. Er hat ein zwölfjähriges Kind mit Autismus und fühlt sich im Alltag überfordert. Er bittet um Hilfe.
  2. Eine Familie meldet sich per E-Mail. Die Grundschule ihres achtjährigen Kindes empfiehlt dringend eine Schulbegleitung. Der zuständige Leistungsträger lehnt eine Schulbegleitung ab. Was können sie tun?
  3. Ein vierundzwanzigjähriger junger Mann bittet um ein Gespräch. Er möchte in eine Wohngruppe für Menschen mit geistiger Behinderung ziehen. Er hat bereits mit dem Leistungsträger telefoniert und soll nun einen Antrag ausfüllen. Er fühlt sich überfordert. Niemand kann ihm helfen.
  4. Eine Siebzehnjährige nimmt eine Beratung per Videochat in Anspruch. Sie berichtet von erheblichen Lernschwierigkeiten und möchte nun eine Ausbildung beginnen. Laut ihrer Klassenleitung benötigt sie zusätzliche Unterstützung. An wen kann sie sich wenden?
  5. Der Vormund eines dreizehnjährigen Kindes erscheint im Büro. Sein Mündel ist sehbeeinträchtigt und braucht für eine anstehende Klassenfahrt Unterstützung. Was kann er tun?

Was ist eine (drohende) Behinderung?

Es ist oft gar nicht so leicht zu erklären, was eine Behinderung ist. Eine Gesellschaft verändert sich. Und damit auch immer wieder die Bedeutung von Wörtern und Kategorien. Viele Menschen haben ein eigenes Verständnis davon, was Behinderung bedeutet.

Die Bedeutung des Begriffs hat sich in den letzten Jahren in Deutschland verändert. Der Grund dafür ist unter anderem die UN-Behindertenrechtskonvention. Das ist eine Vereinbarung zwischen verschiedenen Ländern zur Regelung und Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung.  Deutschland hat den Vertrag 2007 unterschrieben. 

Eine Behinderung liegt laut Gesetz dann vor, wenn eine Abweichung der Gesundheit festgestellt wird, die “in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren die Teilhabe an der Gesellschaft verhindert”. Das bedeutet, dass es Barrieren und Hürden gibt, die dafür sorgen, dass Menschen nicht oder nur eingeschränkt am Leben teilhaben können.

Menschen sind also nicht behindert, sie werden behindert. Der Zustand muss altersuntypisch und mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate andauern. Es wird also geprüft, ob es sich um eine längerfristige und für das Alter ungewöhnliche Beeinträchtigung handelt.

Manchmal liegt eine Behinderung vor, manchmal kann eine Behinderung auch “drohen”. Eine Behinderung kann dann drohen, wenn abzusehen ist, dass der junge Mensch in der Zukunft am Leben nur eingeschränkt oder gar nicht teilhaben kann.

Was sind Eingliederungshilfen?

Eingliederungshilfen sollen Menschen die Eingliederung in die Gesellschaft ermöglichen.  Sie sollen dafür sorgen, dass junge Menschen selbstbestimmt und gleichberechtigt in der Schule, im Beruf oder im sozialen Leben teilhaben können.  Das bedeutet, dass man “überall mitmachen” kann. Die Hilfen können zu Hause, draußen oder in Einrichtungen stattfinden. Also dort, wo der junge Mensch Unterstützung braucht.

Sie können in Sachleistungen, Geldleistungen oder Dienstleistungen bewilligt werden.